Selbstverständlich wollten wir Kalkuttas College Street nicht lange auf uns warten lassen und so brachen wir am 18. Dezember auf, jene Gegend wo Bücher verkauft werden und der Geist Intellektueller die Gassen beseelen soll, zu besuchen.
Von der Sudder Street aus beginnend gingen wir gemütlichen Schrittes etwas weniger als eine Stunde, ehe wir die ersten Stapel von Büchern am Straßenrand erblickten und somit die College Street erreicht hatten.
Wir stöberten ein wenig, zahlreich waren die neuen, doch auch die der allen Anschein nach schon unzählige Male gelesenen und studierten Bücher.
Oft erkundigte man sich nach unserer Herkunft und beinahe jeder Händler konnte uns eine große Auswahl an Büchern in unserer Muttersprache anbieten.
Dies beginnend bei schier unbedeutender Schreiberei jüngster Zeit, bis hin zu Werken der Großen aus einer längst Vergangenheit gewordenen Epoche, als Geisteswissenschaften noch nicht so stark an Bedeutung verloren hatten, wie heute.
Die Bücher waren sehr günstig und wären sie nicht so schwer und hätte ich nicht schon so viele Bücher auf dieser Reise erstanden, ich wäre gewiss in einen Kaufrausch geraten. So zügelte ich mich.
Wir sind immer wieder verwundert über das Angebot eines gewissen Buches, welches man anscheinend hier zu Lande bei jedem Buchhändler vorrätig findet.
Doch fanden wir das Aufeinanderreihen dieser drei deutschsprachigen Autoren sehr geschmacklos, entschuldigten es jedoch mit Unwissenheit oder Belanglosigkeit aus indischer Sicht.
Liegt dort nun unten "Mein Kampf" von Adolf Hitler, in welchem er ausführlich seine antisemitischen Überzeugungen - seine Judenfeindlichkeit - offen legt und von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung schreibt.
Über Hitler liegt die Prosa-Sammlung Franz Kafkas, welcher zwar bereits 1924 - vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten - verstarb, jedoch aus einer jüdischen Familie stammte. So wurden Kafkas Werke von den Nationalsozialisten den Bücherverbrennungen hingegeben und der Schreiber selbst von ihnen in die einschlägige Liste verbotener Autoren als Erzeuger von „schädlichem und unerwünschtem Schriftgut“ aufgenommen. Kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 in Prag gelang es Kafkas Freund Max Brod die Handschriften seines Freundes nach Palästina zu bringen, wo er sie Ilse Ester Hoffe schenkte, welche einige verkaufte, andere behielt. Noch heute befinden sich einige dieser Handschriften in Hoffes Besitz und wissen sich in Banktresoren in Tel Aviv und Zürich aufgehoben.
Über Kafka liegt Sigmund Freuds "Die Traumdeutung". Auch Freud stammte aus einer jüdischen Familie und er selbst lebte, zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und als die deutschen Truppen 1938 in Österreich einmarschierten, in Wien. Seine Werke waren bereits der Bücherverbrennung vom Mai 1933 preisgegeben worden und Freud emigrierte gemeinsam mit den meisten seiner Familienmitglieder 1938 nach London. Vier seiner fünf Schwestern blieben in Wien zurück, wurden in Konzentrationslagern interniert, wo ihr Leben von Nationalsozialisten 1942 gewaltsam beendet wurde.
Viele Straßen und Gassen führen ab von der College Street, wo der Bücherverkauf kein Ende nimmt und eine dieser abzweigenden Straßen ist die Bankim Chatterjee Street, wo sich das Indian Coffee House befindet.
Der Eingang ist schmal und befindet sich - kaum erkennbar - direkt zwischen zwei Buchläden.
Eine Treppe führte uns eine Etage höher und die Nachrichten und Notizen auf den Wänden zeugten von einer regen Aktivität in diesem Gebäude.
Und hier fand die bengalische Studentenrevolution einst ihren Ursprung, hier werden seit Jahrzehnten Bücher geschrieben, gelesen und diskutiert.
Wir saßen lange im Indian Coffee House, ehe wir es verließen, als es bereits dunkel war.
Zurück auf der Sudder Street: Für gewöhnlich frühstücken wir im "Curd Corner", der "Joghurt-Ecke".
Allerdings frühstücken wir hier nicht Joghurt, sondern Toast, während wir das aktuelle Tagesblatt überfliegen.
Auch von dem Schneechaos in der Heimat wurde berichtet.
Sunny röstet und schmiert hier die Brote.
Manchmal essen wir hier auch zu Abend.